Zehn Jahre Fall Mirco - Teil 2

Seit dem Verschwinden von Mirco sind sechs Wochen vergangen.
Die Kommission arbeitet Tag und Nacht auf Hochtouren. Dann zeigte sich ein Silberstreif am Horizont.
Die SOKO war sich sicher. Der mutmaßliche Täter war mit einem VW-Passat-Kombi unterwegs und hatte den Jungen in seinen Wagen gelockt.
Der gesuchte Fahrzeugtyp hatte nebeneinander angeordnete Rückleuchten und war dem Baujahr 2005 bis 2010 zuzuordnen.
Ein riesiger Berg von Arbeit lag vor den Beamten und sie gaben nicht auf.

 

Es gingen knapp 10.000 Hinweise bei der SOKO ein. Doch einige Spuren waren besonders, wie das Rad oder die Bekleidung von Mirco, Militärjets die Spuren suchen und nicht zu vergessen ein Zeuge, der in der Dunkelheit einen Passat erkannte. Was war so besonders an diesen Spuren?

Ingo:
Diese Gegenstände waren Teile in einem großen Mosaik, das zu einem Bild werden sollte. Dinge, die in ihrer Bedeutung aufeinander aufbauten. Wir wollten im Grunde nichts unversucht lassen. So haben wir sehr viele Tipps und Hinweise bekommen. Auch Ideen aus der eigenen SOKO wurden nach Möglichkeit umgesetzt. So etwas dient natürlich auch dazu, das „Wir-Gefühl“ zu stärken, denn jeder Einzelne war Teil dieser Mannschaft. Die Suchmaßnahmen haben zwar nicht dazu geführt, dass der Junge gefunden wurde, sie führten aber dazu, dass der Fall geklärt wurde. Wir haben alle Gegenstände von Mirco gefunden, ein Verteilmuster dieser Gegenstände gesehen und die OFA beteiligt, um nochmals jede Spur auszuleuchten. Auch die regelmäßige Information der Öffentlichkeit durch unseren Pressesprecher Willy Thevissen hat zu einer großen Akzeptanz
in der Bevölkerung geführt, denn sie hat mitgemacht. Unser wichtigster Zeuge, der diesen Passat beobachtete, meldete sich bereits einen Tag später bei uns und schilderte seine Beobachtungen. Er hatte richtig Ahnung von Fahrzeugen und war davon überzeugt, den richtigen Wagen gesehen zu haben. Unsere Aufgabe bestand nun darin, die aufgefundenen Gegenstände mit den objektiven Tatbeständen zusammenbringen. Wir mussten bestätigen, dass die gefundenen Kleidungsstücke von Mirco waren. Wir mussten anhand der Kleidung bestätigen, dass er in einem Passat gesessen haben könnte, was uns auch sechs Wochen später gelang. Dies führte dazu, dass wir am 18. Oktober 2010 mit dem Ergebnis an die Öffentlichkeit gehen konnten, dass es genau so ein Passat war, den wir suchten. So haben sich die Ermittlungsergebnisse nacheinander aufgebaut. Ich kann mich noch genau an den Satz eines Kollegen erinnern, der lautete: „Besorge mir alle Bilder von der Erde bis zum Mond!“ Er kam auf die Idee, einen ihn bekannten Politiker anzusprechen, der wiederum den damaligen Verteidigungsminister kannte, um auf diesem Wege Jets der Bundeswehr einzusetzen, um mit entsprechender Technik nach dem Jungen zu suchen. Die Idee war gut, nur der organisatorische Aufwand sehr hoch. Bis alle Verantwortlichen zugestimmt hatten, war durch den zeitlichen Versatz der Erfolg negativ beschieden.
Durch diese Ermittlungsarbeit des Teams konnte das Mosaik immer weiter zusammengesetzt werden, was letztendlich dazu führte, dass wir später den Mörder präsentieren konnten.

Ecki:
Wir haben zusammen mit den Profilern das Ermittlungskonzept und auch das Medienkonzept erstellt. Es war uns immer wichtig, über dieses Medienkonzept tatsächlich auch die Bevölkerung mitzunehmen und unsere Maßnahmen, die immer die Menschen tangierten, transparent zu gestalten. Ingo und ich haben uns selber einmal ein Spurenpaket geben lassen. Wir haben Passatbesitzer aufgesucht, um ihre Fahrzeuge abzukleben und nach Faserspuren zu suchen, so wie es unsere Kollegen tagtäglich machten. Dabei haben wir festgestellt, dass wir bei den Leuten für unsere Arbeit auf eine unglaublich hohe Akzeptanz stießen. Ich denke, dass es uns tatsächlich mit diesem Medienpaket gelungen ist, die Menschen von der Notwendigkeit unserer Maßnahmen zu überzeugen und die Suche nach dem verschwundenen Jungen auch zur Sache der Bevölkerung zu machen. Es war nicht so, dass die Fahrzeughalter sich als Verdächtige gefühlt haben, sondern durch ihre Akzeptanz dazu beitragen konnten, dass ihr Auto aus dem großen Fundus herausfiel und am Schluss das Täterauto übrigbleiben konnte. Ich habe in den vergangenen Jahren schon viele polizeiliche Maßnahmen vertreten und umgesetzt. Es war schon bewundernswert, eine solche Akzeptanz für unsere Arbeit bei den Leuten zu erfahren. Wir haben die Freundlichkeit und das Entgegenkommen der Menschen erlebt. Dies hat uns als SOKO in der Arbeit beflügelt und uns gleichzeitig bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg waren mit dem Ziel, den Täter zu überführen.

Wie war für Euch der Umgang mit der Familie insbesondere den Eltern von Mirco?

Ingo:
Es war von Anfang bis heute ein sehr respektvoller Umgang mit der Familie des Jungen. Trotz dieser schrecklichen Ereignisse, haben die Eltern auf den polizeilichen Rat gehört. Am Anfang war es etwas befremdlich für mich, wie die Familie mit uns umging. Das wussten die Eltern auch. Es sind sehr religiöse Menschen, die der freien evangelischen Kirche angehören. Es ist eine starke Glaubensgemeinschaft. Ich bin nicht der Kirchgänger, wie er im Buche steht, aber das Verhalten dieser Menschen hat mir schon imponiert. Ich habe in meiner Dienstzeit erlebt, dass die Eltern eines verschwundenen Kindes sich nur noch um das Opfer sorgten und die anwesenden Kinder absolut allein ließen und vernachlässigten. Wir haben in diesem Fall den Eltern gesagt, dass wir uns um Mirco kümmern werden und sie auf ihre drei Kinder achten und auf sie aufpassen sollen. Diesen Rat haben sie auch befolgt. Sie hielten sich aber auch an unsere Abmachungen, indem sie nicht mit der Presse korrespondierten, um vielleicht Irritationen oder andere Ideen in den Fall zu bringen.

Ecki:
Ich habe mir sehr oft Gedanken gemacht, wie ich reagieren würde, wenn mein Kind weg wäre und der Polizeiapparat ermittelt in dieser Sache. Da Geduld nicht zu meinen obersten Tugenden gehört, wäre ich sehr oft bei der Kommission vorstellig geworden. Ich hätte jeden Tag gebetsmühlenartig gefragt, wie weit die Ermittlungen wären oder hätte schlaue Vorschläge gemacht, wie man besser vorgeht. Deshalb war ich überrascht, wenn die Familie des Jungen Kontakt zu uns aufnahm und sie sich in erster Linie bei uns bedankten, dass wir all das für ihren Jungen und für ihre Familie taten. Sie dankten uns, dass dieser riesige polizeiliche Apparat für ein einfaches Arbeiterkind angelaufen war und unermüdlich arbeitete. Das hat mich beschämt.

Ingo:
Ich kann mich erinnern, dass die Mutter sagte: „Der Mirco ist doch kein Jakob von Metzler“. Wir haben natürlich sofort erklärt, dass wir diese Arbeit für jeden Menschen machen. Das dies selbstverständlich sei. Ich versuchte ihr zu erklären, dass es unsere Aufgabe sei und wir das auch gerne tun, weil wir unseren Job ernst nehmen und professionell ausüben.

Ecki:
Es hat mich eigentlich kleinlaut werden lassen, so lange mit leeren Händen dazustehen. Ich habe es immer so empfunden, dass wir stets mit so viel Vorschusslorbeeren und Vertrauen beschenkt wurden und diesen ehrbaren Leuten es 145 Tage lang nicht zurückzahlen konnten. Es war sehr belastend. Ich hätte eher damit umgehen können, wenn mich einmal jemand beschimpft und gefragt hätte, warum es nicht schneller geht. Aber das Gegenteil war der Fall. Diese Menschen hatten mit uns eine „Engelsgeduld“ und sie haben uns auch dadurch gepuscht. Es war wirklich ein immenser Ansporn für uns, dass diese Menschen uns ein solch großes Vertrauen schenkten.

 

 

Euer wichtigster Zeuge war ein junger Mann, der am Abgreifort von Mirco einen Passat erkannte. Wieso konntet Ihr seiner Aussage von Anfang an vertrauen?

 

Ingo:

 

Zunächst einmal hat sich der Zeuge spontan gemeldet, bevor es eine Öffentlichkeitsarbeit gab. Er kam zu uns, obwohl es keine Belohnung gab. Er wollte helfen, er stand mitten im Leben und hatte ein sensationelles Autoverständnis und eine gute Auffassungsgabe. Natürlich ist er von der Kommission auf Herz und Nieren geprüft worden. Denn jeder kann sich vorstellen, dass ich eine Aussage nicht einfach veröffentlichen kann, ohne sie abzuprüfen. Deshalb hat es auch knapp sechs Wochen gedauert, bis wir von einem Passat B 6 ausgegangen sind. Von der Presse wurde von Anfang an gesagt, es würde ein dunkler Kombi gesucht. Diese Aussage ist von der SOKO von vorn herein nie gemacht worden. Es war eben auch kein dunkler Kombi und unser Zeuge hat sich auch nicht von der Farbe her, sondern nur vom Typ festgelegt. Wir haben bei ihm eine Aussageprüfung von einem Aussagepsychologen aus Hamburg in Auftrag gegeben. Wir haben Tests mit ihm gemacht und Fahrzeuge unter gleichen Bedingungen dort abgestellt, um seine Aussage zu verifizieren. Es war wirklich ein „TOP-Zeuge“. Er war in der Lage 1:1 die verschiedenen Fabrikate zu erkennen. Es war nur schade, als zwei Wochen später eine Belohnung für sachdienliche Hinweise ausgelobt wurde und dem Zeugen diese später nicht zugesprochen werden konnte, denn sein Hinweis kam vor der Auslobung. Der Betrag war nicht gerade niedrig und der junge Mann hätte das Geld wirklich gut gebrauchen können. Wie sich später bestätigte, hat er am Tatabend genau das Täterfahrzeug am Abgreifort gesehen. Wir haben ihn nicht umsonst immer unseren „Topzeugen“ genannt.

 

Ecki:

 

Ich habe den Zeugen vernommen und die Kunst der Vernehmung besteht nicht darin, die richtigen Fragen zu stellen, sondern bei den Schilderungen gut zuzuhören und dies auch aufzuschreiben, damit Aussagepsychologen auch eine entsprechende Bewertung stattfinden lassen können. Diese Aussage enthielt sehr viel Lebenshintergrund und absolut erlebtes. Die uns von ihm generierten Ansätze wurden auf das genaueste abgeprüft. Es wäre fatal gewesen, zu schnell mit dem Hinweis an die Öffentlichkeit zu gehen, dass ein Passat gesucht wird. Wenn er sich geirrt hätte und es ein Opel gewesen wäre, hätte sich kein Zeuge mehr gemeldet, selbst wenn er den Opel gesehen hätte, weil er dachte, die Polizei sucht einen Passat. In dieser Hinsicht muss man sich ganz sicher sein, insbesondere wenn man ein solches Medienkonzept fährt, wie wir das gemacht haben. Auf dieser Basis mussten natürlich weitere Funde abgestimmt werden, die wir parallel machten und wir konnten sie schließlich dahingehend verifizieren. Das hört sich jetzt so leicht an, dass man denkt, es wird ein textiler Gegenstand gefunden und man kann darauf Fasern einer Polstergarnitur feststellen, die in diesem Wagen war. Das ist jetzt mal eben schnell und flüssig erzählt. Das hat aber sechs Wochen gedauert, um dies befundmäßig so zu erhärten, dass es eine belastbare und tragfähige Spur war. Dies brauchte einige Zeit, es brauchte viel Wissenschaft und benötigte auch eine gute Zusammenarbeit mit dem VW-Konzern. Hier möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit nochmals bedanken. VW hat uns mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Ein Ermittlungsteam der SOKO hat sich im Konzern fast eine Woche aufgehalten. Wir haben sämtliche Polstervarianten als Proben erhalten, damit wir diese im kriminaltechnischen Institut vom Landeskriminalamt untersuchen konnten und tatsächlich auch dann die Aussage des Zeugen und das vorgefundene Spurenbild deckungsgleich übereinander zu bringen. 

 

Im Rahmen der SOKO wurde sehr oft über Unmengen von Mobilfunkdaten und Vorratsdatenspeicherung gesprochen. Könnt Ihr dem Leser den Nutzen und den Zweck dieser Dinge einmal erklären?

 

Ingo:

 

Zu vorangegangenen Kommissionen hatten wir seinerzeit viele Daten auszuwerten. Im Gegensatz zu heute, handelte es sich dabei um Peanuts. Wir hatten 220.000 Daten von verschiedenen Funkzellen, die wir damals noch bekommen haben. Es gab dabei verschiedene Handlungs- und Ablageorte von verschiedenen Bekleidungsgegenständen, die nach und nach aufgefallen sind. Es wäre viel einfacher gewesen, wenn man den gesamten Bereich datentechnisch eingefroren hätte, so wie man heute dazu tendiert. Man greift anschließend auf die Daten zurück, wenn man die Handlungsorte kennt. Nur die heutige Vorratsdatenspeicherung ist noch schlechter als damals, weil man keine Standortdaten mehr bekommt. Man kann sagen, dass diese Maßnahme den einzelnen überhaupt nicht tangiert. Von diesen 220.000 Telefon-Nummern sind letztendlich drei Nummern in die Anschlussinhaberfeststellung gegangen. Das heißt von drei Telefonnummern kannten wir die Namen der Menschen. Davon war ein Teilnehmer ein Kindermörder. Dies sollte man sich einmal vor Augen halten.

Wenn man bedenkt, wie viele Daten die Menschen heutzutage über die sozialen Medien preisgeben, müssen wir uns nach meinem persönlichen Dafürhalten in puncto unserer Vorratsdatenspeicherung noch weiter und innovativer entwickeln. Eine SOKO und die Polizei sind kein Geheimdienst. Wir wollen mit diesen Daten Taten klären und können mit einem richterlichen Beschluss an Daten von Straftätern herankommen, die Taten begangen haben, die im obersten Level liegen und damit die Allgemeinheit extrem verunsichern. Deshalb sehe ich es als verhältnismäßig und absolut unkritisch an, was wir für Daten erhoben haben. 

 

Ecki:

 

Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es um die gesetzliche Verpflichtung der Netzbetreiber, Daten zunächst einmal zu speichern. Ingo hat es gerade angesprochen. Wir haben hier den absoluten Richtervorbehalt. Das heißt, die Ermittlungskommission muss an ihren federführend ermittelnden Staatsanwalt mit einer Anregung herantreten. Dieser prüft wiederum, ob die juristischen Voraussetzungen für einen Antrag vor Gericht vorliegen. Ist dies der Fall, prüft nochmals ein Richter, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, ein bestimmtes Kontingent an zurückgehaltenen Daten tatsächlich bei Netzbetreibern abzurufen und auswerten zu dürfen. Ich denke, wir leben in einem der glücklichsten rechtsstaatlichen Ländern dieser Welt. Wir sollten uns nicht schon zu Beginn davor verschließen, die Netzbetreiber zu verpflichten europaweit standardisierte Daten vorzuhalten. Alle Eltern in Deutschland haben das Recht darauf, dass mit rechtsstaatlichen Mitteln das Schicksal ihres Kindes aufgeklärt wird, wie dies in den Niederlanden, in Belgien oder in Frankreich der Fall ist.

 

Der Durchbruch: Nach 145 Tagen stand der Täter fest

Nach 145 Tagen stand der Täter fest. Er wurde von der SOKO zuhause festgenommen und zur Dienststelle gebracht. War er sofort geständig?

Ecki:
Wie Ingo es immer zu sagen pflegte, haben wir den Täter anhand vieler kleiner Mausefallen oder besser gesagt von uns geführten Ermittlungssträngen ermittelt. Wir standen nun vor der Abwägung, in welcher Form wir an den Täter herantreten.
Gibt es für einen Kindermörder standardisiert das Procedere, dass ein Gewaltverbrecher mit einem SEK festgenommen werden muss? Dies wird sicherlich in jeder Kommission neu diskutiert. Wir haben uns entschieden, das nicht zu tun, sondern mit einer entsprechenden Delegation beim Täter an der Wohnanschrift morgens vorstellig zu werden. Auch wieder mit Durchsuchungsbeschlüssen. Er hat sich in seiner Wohnung ruhig unseren Sachvortrag angehört und ist auch dem Gesprächsangebot der Polizei gefolgt. Seine Vernehmung hat gegen sieben Uhr morgens begonnen. Die Kommission war über den gesamten Zeitraum im Kreis Viersen ansässig. Deshalb haben wir die Vernehmung im Polizeipräsidium Mönchengladbach geführt, da wir wussten, dass nach Bekanntwerden der Festnahme des Täters alles medial durch die Decke gehen wird. Zu Beginn muss man sich natürlich vernehmungstechnisch erst einmal an den Täter herantasten, denn auch für ihn sind die Vernehmungsbeamten zuerst wildfremde Menschen. Man muss erst einmal in eine Gesprächssituation gelangen, in der ein Täter erfährt, was gegen ihn vorliegt. Er muss sich nun ebenfalls überlegen, ob er bei der Vernehmung mitmacht oder er sich auf Ablehnung stellt. Er hat sich aber dazu bereit erklärt, uns die Ablagestelle des Jungen zu zeigen. Das war das entscheidende, denn wir haben Mirco bis zur Festnahme seines Mörders nicht gefunden. Der Beschuldigte hat sich nach knapp vier Stunden Vernehmung dazu bereit erklärt, die Ablagestelle auf einer Karte zu zeigen. Ich habe ihm aber angeboten, gemeinsam mit ihm an diesen Ort zu fahren. Darauf hat er sich eingelassen. So sind wir dann von Mönchengladbach aus direkt zu der Stelle gefahren, die er auch sofort erkannte. Wir haben uns nicht verfahren und sind nach seiner Direktive gefahren und an diesem Ort angekommen. Dort haben wir dann die menschlichen Überreste des Jungen auffinden können. Wir sind wieder zurückgefahren und haben die Vernehmung fortgesetzt. Hier gibt es immer ein Procedere. Nach der Festnahme gibt es immer ein bestimmtes Zeitkontingent, welches der Polizei zur Verfügung steht, bis die festgenommene Person einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden muss, der darüber zu entscheiden hat, ob eine freiheitsentziehende Maßnahme der Polizei weiter fortdauert oder eben nicht. Auch dieses Zeitfenster mussten wir natürlich einhalten. Der Täter hat sich bereiterklärt, auch nach Verkündung des Haftbefehls, weiterhin mit der Polizei zusammenzuarbeiten und eine weitere Aussage zu machen. Letzten Endes hat die komplette Vernehmung, die alle anderen Dinge einschließt, wie Angaben zu seiner Person, seine Lebensumstände über neun Tage gedauert. Man muss es sich dann so vorstellen, dass man den Mann auch betreut, wenn man gerade nicht in der Vernehmungssituation ist. Er hat also auch das Recht mit uns über den Hof des Präsidiums zu gehen, an der frischen Luft eine Zigarette zu rauchen und einmal über Dinge zu erzählen, die mit der Tat und der Ermittlung nichts zu tun haben. Man spricht über Familie, über Hobbys oder über den gemeinsamen Fußballverein. Das mag für manche Menschen befremdlich wirken, aber immer nur über die Tat zu sprechen und immer nur in seinem Gegenüber einen Mörder zu sehen, gelingt auch dem Polizisten nicht immer, weil dies eine Extremsituation ist. Man lernt auf diese Weise Menschen kennen, weil es eben Menschen sind. Die Mutter von Mirco hat einmal gesagt: „Wie auch immer seine Tat war – es ist ein Mensch!“

Ingo:
Die Familie von Mirco war sehr kooperativ, freundlich und sehr entgegenkommend. Man hat unsere Ratschläge nach der Festnahmesituation angenommen und wir haben sie wegen dem zu erwartenden Medieninteresse aus der Schusslinie gebracht. Außerdem haben alle Medien darüber berichtet, wo der Junge gefunden wurde. Bis heute ist keines dieser Fotos und keiner dieser Orte richtig. Diesen Ort kennen nur ganz wenige und den wird keiner von uns erfahren. Es gibt aber nicht nur die Familie des Opfers, sondern auch die Familie des Täters. Das ist eine ganz normale Familie. Man hat immer gesagt, der Täter hatte drei Frauen, die positiv über ihn reden, zwei waren geschieden eine war aktuell. Man reißt die Familie in einer solchen Situation mitten aus dem Leben. Als wir das positive Ergebnis vom LKA bekamen, dass wir das richtige Fahrzeug und damit auch den richtigen Täter hatten, wollten die ersten Kollegen sofort den Täter festnehmen. Nein, auch solche Dinge müssen vorbereitet sein. Es warf sich die Frage auf, wie man mit den Angehörigen des Täters umgeht, obwohl dies in der Bevölkerung für großes Unverständnis sorgte. Man sagte, dass sie es selber schuld seien oder er wäre doch der Mörder. Mit diesen Dingen sollte man behutsam umgehen. Es gibt Kinder, Eltern und Schwiegereltern, die nichts mit der Tat zu tun hatten. Ich denke mir, das ist uns ebenfalls ganz gut gelungen.
Für mich war es erschreckend, als ich die Frau des Täters sechs Monate später bei der Gerichtsverhandlung sah. Vorher war es eine junge Frau, die mitten im Leben stand und nun war sie grauhaarig geworden und sah um Jahre gealtert aus. Was nach solchen Taten auch mit den Angehörigen der Täter passiert, ist schon Wahnsinn.

Ecki:
Ich kann das auch so bestätigen. Ich bin stolz in einem Land zu leben, in dem eine Rechtsstaatlichkeit gegeben ist. Diese hat unter anderem den Grundsatz, dass es keine Sippenhaft gibt. Ich denke, das ist uns im Umgang mit der Täterfamilie gelungen. Wir haben noch während der neuntägigen Vernehmungszeit einen Familienbesuch in den Räumlichkeiten des Polizeipräsidiums arrangiert. Es waren Familienangehörige vom Tatverdächtigen zugegen. In unserem Beisein hat es den ersten Gesprächskontakt nach Tatentdeckung gegeben. Man sollte bedenken, dass auch die Familienangehörigen aus allen Wolken gefallen sind.

Gibt es noch Kontakte zu den Familien?

Ingo:
Zur Familie von Mirco gibt es noch Kontakte. Zur Familie des Täters nur sporadisch über dem Dienstweg. Dies ist meist der Fall, wenn Auskunftssperren verlängert werden müssen oder ähnliches. Es gibt auch immer noch Opferschützer aus den jeweiligen Wohnorten, die Ansprechpartner für diese Menschen sind.

Ecki:
Ich habe keine Kontakte mehr. Ingo hat nach wie vor noch einen intensiven Kontakt zur Familie von Mirco. Es wurden in den ersten Jahren auch immer wieder einmal alle Mitglieder der SOKO zu einem Kaffee eingeladen. Ich habe einmal teilgenommen und habe festgestellt, dass dies für mich sehr emotional war. Da ich aber noch einige Jahre meinen Beruf ausüben möchte, und es für mich wichtig war, wieder eine gewisse Distanz zu erreichen, um weiterhin auch professionell und unbeschadet an weiteren neuen Fällen arbeiten zu können. Ich habe mich nach dieser Teilnahme auch für die Herzlichkeit bedankt aber auch gesagt, dass ich in Zukunft diesen Einladungen nicht mehr folgen werde. Nicht weil ich die Familie nicht mag und schätze, sondern ich bewundere es, wie sie als Familienverband mit diesem Verlust umgegangen sind. Allerdings brauche ich diese Distanz für mich persönlich.

Ingo und Ecki, ihr schwimmt quasi auf einer Welle der Sympathie bei der Bevölkerung. War das von Anfang an so?

 

Ingo:
Die Anerkennung der Menschen zu erfahren ist nicht peinlich, sondern es ist schön zu sehen, wie sie reagieren. Das damalige Mantra lautete: „Mit Eurer Hilfe und unserer professionellen Arbeit schaffen wir das!“, das hat unser Pressesprecher, Willi Thevissen, in einem offenen Brief an die Bevölkerung sehr schön geschrieben. Hierdurch hat sich die Suche nach Mirco in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Das Verständnis dafür, dass man alles tut, um das Schicksal dieses Jungen zu klären, obwohl es kein Promikind war.
Ich denke, dass es aufgrund der vielfältigen Aufgaben der Kriminalpolizei zukünftig immer schwieriger sein wird, eine Kommission in dieser Größenordnung zusammen zu stellen.
Das betrifft nicht nur uns, sonder alle Kommissionsleiter im Land oder dem Bund. Jeder, der sich dieser Arbeit verschrieben hat und sagt, dass ist mein Ding, gibt sein Bestes, um alles möglich zu machen. Unsere personelle Unterstützung durch die damaligen Entscheidungsträger, bis ins Ministerium, war auf jeden Fall sensationell.
Wir hatten in dieser Konstellation eben das Glück, das Entscheidungsträger da waren, die diesen Fall geklärt haben wollten, um allein schon das Signal nach außen zu senden, dass in Nordrhein-Westfalen kein Kind entführt oder ermordet wird. Natürlich kann sich so ein Fall wiederholen, aber es war eine deutliche Signalwirkung für die Bevölkerung und auch für die Polizei. Die Einstellungszahlen nach der SOKO waren danach übrigens so hoch, wie nie zuvor. Ein Entscheidungsträger hat mir einmal gesagt, dass die Signalwirkung der SOKO besser als jede Kampagne war, die je gefahren wurde.

Ecki:
Das war auch keine Kommission nur der SOKO Mirco, sondern ich habe erlebt, dass es eine Kommission der kompletten nordrhein-westfälischen Polizei war. Die Kollegen der SOKO kamen aus vielen unterschiedlichen Dienststellen. Hier fehlten diese Leute und hinterließen Lücken in der Sachbearbeitung. Diese Arbeit musste gezwungenermaßen über einen ganz langen Zeitraum von den Kollegen aufgefangen und mit übernommen werden, so dass hier ebenfalls Doppelbelastungen entstanden. Die Kollegen haben das ohne Widerspruch getan und sie wussten auch wofür sie das getan haben. Ich werde nicht vergessen, als wir mit der Kommission zurückkamen, dass ein schon lange in Pension gegangener Kollege mich auf dem Hof traf und mir zurief: „Ecki, ich bin stolz, Angehöriger der Polizei NRW zu sein und Ihr habt mit der Kommission dazu beigetragen!“ Das war eines der schönsten Komplimente und Anerkennung, welche man als Ermittler von einem anderen Ermittler bekommen kann.

Die tragische Geschichte von Mircos Verschwinden wurde in dem Buch „SOKO im Einsatz“ und dem Film „Ein Kind wird gesucht“ dokumentiert. Wie kam es dazu?

Ingo:
Es kamen viele Anfragen von Autoren bei mir an, ob über diesen Kriminalfall ein Buch veröffentlicht werden soll. Ich habe diese zunächst einmal alle abgelehnt. Letztendlich habe ich mich überreden lassen, ein solches Projekt anzugehen. Allerdings wollte ich den Lesern einmal vermitteln, wie eine solche SOKO in der Realität abläuft. Ich wollte nicht, dass es wie in einem Standardkrimi mit 90 Minuten abläuft, in dem zwei Mann ermitteln, schreiben kein Wort auf Papier, fahren eine Luxuslimousine und dann ist der Fall durch einen Geistesblitz geklärt. Ich wollte, dass unsere schwierige Aufgabe, die sich zu Beginn mit dem Aufbau der Technik, der Logistik und der Personalbeschaffung beschäftigt, dargestellt wird. Gewöhnlich benötigt der Aufbau einer SOKO acht bis zwölf Wochen. Wir haben es in sechs Wochen hinbekommen, weil wir professionelle Unterstützung von  den Kollegen der OFA vom LKA hatten. Letztendlich ist das Buch mit der Unterstützung eines erfahrenen Co-Autors erschienen. Anschließend kamen zwei Regie-Studenten auf mich zu, die diesen Fall verfilmen wollten. Meine Zustimmung habe ich dazu nur gegeben, wenn dies in einem seriösen Format ablaufen würde. Ich wollte nicht, dass die Produktion auf einem Privatsender nachts um drei Uhr ausgestrahlt würde. Das war keine Überheblichkeit von mir oder ein Egoismus, sondern dies würde der wunderbaren Arbeit des gesamten Teams nicht gerecht. So etwas hätte ich nicht gewollt. Man hat meine Vorstellungen in dieser Form akzeptiert und anschließend gab es erste Kontakte zum Drehbuchautor, Fred Breinersdorfer, der das Drehbuch genau so verfasste, wie wir es uns vorstellten. Letztendlich gab es die Besetzung der Schauspieler. Dabei kam Heino Ferch und Felix Kramer als Protagonisten ins Gespräch. Bei einem Treffen mit dem Regisseur Urs Egger, Heino Ferch und Felix Kramer haben wir mehrere Stunden bei Kaffee, Kuchen und Kaltgetränken zusammengesessen und uns beschnuppert. Es waren unterhaltsame Gespräche. Heino Ferch und Felix Kramer haben uns dabei sehr genau beobachtet, wie wie reden und stellten fest, dass wir immer noch genau so emotional über den Fall berichteten wie damals, weil es uns eben emotional berührte. Dies haben sie wunderbar aufgenommen. Sie haben die Bewegungen, meine kotzige Art, die Ausdrucksweise von Ecki oder seine beschwichtigende Ruhe, wenn ich schon einmal aus der Hose springe, unglaublich aufgenommen. Ich finde, sie haben es im Film sehr gut dargestellt. Die einzige Verhandlungsbasis war, dass der Film allen Mitgliedern der SOKO in Begleitung ihrer Partner vorab in einem Filmtheater vorgeführt wird. Das Versprechen wurde eingehalten und mittlerweile sind wir bei Film Nummer drei.

Gibt es noch Kontakte zu den Schauspielern des Films?

Ecki:
Ich habe zu dem Felix Kramer keinen Kontakt mehr. Er hat auch die anderen Filme nicht mehr mitgemacht, weil er sich für andere Sendeformate entschieden hat. Wir waren mit unseren Frauen zu einem Drehtag in Köln eingeladen, bei dem wir uns auch in einer Drehpause mit den Schauspielern unterhalten haben. Es war sehr interessant zu sehen, wie professionell und konzentriert das gesamte Team agierte. Alle waren zudem sehr nett und „angenehm normal“. Auch meine Frau fand die Darstellung meiner Person durch Felix Kramer absolut treffend.

Ingo:
Ja, ich habe noch Kontakte zu Heino Ferch. Wir haben uns einige Male getroffen. Nach diesem Film war er von der Idee begeistert, nicht einen fiktiven, sondern einen echten Bullen zu spielen. Er hat für diese Produktion auch den Wiesbadener Fernsehpreis bekommen und hat gesagt, er möchte diesen „Klotzkopf“ weiterspielen, der rauchend und fluchend durch die Gegend rennt. Wir waren einmal bei den Dreharbeiten in Köln am Set. Bei einer Einstellung wurde der Aufbau der SOKO gezeigt, wo jemand einen Kühlschrank schleppt oder Telefone angeklemmt werden. Er lief in dieser Situation telefonierend über den Gang und regte sich über die Vorratsdatenspeicherung auf. Dabei hatte er eine riesige Krawatte und die Halsschlagader stellte sich heraus. Genau diese Szene wurde achtmal gespielt, weil immer einer der Schauspieler etwas falsch machte.  Der Regisseur war sehr gewissenhaft und stoppte jedesmal die Aufnahme. Heino Ferch interessierte das überhaupt nicht. Er hat die gleiche Szene achtmal mit der gleichen Intensität und der gleichen Halsschlagader gemacht.

Welche Werte sind für Euch wichtig?

Ingo:
Ehrlichkeit, Wertschätzung und Aufrichtigkeit.

Ecki:
Der wertschätzende Umgang hat für mich eine sehr große Bedeutung und auch eine Authentizität.

Habt Ihr Hobbys und wie verbringt Ihr Eure Freizeit?

Ingo:
Ich gehe gerne jagen. Jagen ist kein Hobby, es ist Passion. Auch alles, was mit der Jagd zu tun hat, sei es Zusammenkünfte mit Freunden oder das Verwerten des Wildbrettes. Außerdem gehe ich sehr gerne essen.

Ecki:
Ich habe immer schon Ausdauersport getrieben. Früher, weil es mir Spaß gemacht hat. Heute, weil ich es einfach brauche, um ausgeglichen zu sein, wobei ich es aber in eine Ecke drücke, wo es familiär und beruflich passt. Dabei bin ich deutlich entspannter und flexibler geworden. Ich lasse auch schon einmal gerne die eine oder andere Ausrede zu, warum die Ausdauereinheit einmal nicht klappt. Aber in erster Linie bin ich gerne mit der Familie und Freunden zusammen. Beim Sport, ob auf dem Rennrad oder dem Mountainbike gibt es viele Gelegenheiten, um sich auch einmal in Gedanken zu verlieren. Das tut einfach gut.

Habt Ihr eine kuriose oder lustige Begebenheit aus Eurer Dienstzeit, die den Leser zum schmunzeln bringt?

Ingo:

Klar viele. Ecki erzähl Du mal.

Ecki:
Zu Beginn meiner polizeilichen Laufbahn war ich mit meinem Bärenführer auf Streife. Ältere Polizisten werden sich noch an diesen Ausdruck erinnern. Es waren Kollegen im fortgeschrittenen Lebensalter und einer großen Diensterfahrung. Sie hatten die Aufgabe, den „jungen Wilden“, die fast perfekt theoretisch ausgebildet waren und große Sicherheit auf die Straße bringen wollten, die ersten dienstlichen Schritte beizubringen. Ich werde es nie vergessen, denn es gab eine Alarmauslösung an einer Schule. Es war in den späten Abendstunden und zu dieser Zeit war das Schulgelände erfahrungsgemäß immer abgeschlossen. Mein Kollege kannte die Stadt buchstäblich wie aus der Westentasche und wir waren die ersten am Einsatzort. Ich lief sofort los und habe behände über die Klinke des Eisenschultores die Spitze erklommen und wollte im leichten Satz über dieses Tor steigen. Ich blieb aber oben am gezackten Profil des Tores hängen und habe mir dabei die Hose eingerissen. Zwischenzeitlich trafen weitere Streifenwagen und auch mein Bärenführer ein. Er kam auf das Tor zu und sah mich noch oben auf dem Flügel hantieren, damit nicht noch mehr kaputt geht. Er betätigte die Klinke und öffnete den Torflügel auf dem ich saß. Das Tor war nämlich nicht verschlossen. Ich nahm anschließend das Spalier ab und alle Kollegen haben sich mit Applaus für diese tolle Einlage bedankt und versicherten mir, dass es ganz toll ausgesehen hätte. Schließlich bin ich als letzter mit einem tiefen Riss in der Hose am Einsatzort angekommen. Ich erzähle die Geschichte immer gerne, weil man aus solchen Dingen lernt, dass es auch andere Wege gibt, den Einsatzort zu erreichen.

Habt Ihr ein Lieblingsgericht?

Ingo:
Ich gehe gerne essen, bin aber auch begeisterter Hobbykoch. Ich koche gerne schöne Wildgerichte.

Ecki:
Ich esse gerne Hausmannskost. Ich liebe deftigen Grünkohl-Eintopf mit Mettwurst.

Welche drei Dinge müssen bei Euch mit auf die Insel?

Ingo:
Ich bin nicht so ein Inseltyp und würde mich dort total unglücklich fühlen. Ich würde gerne einmal für eine Woche auf eine Hütte. Das finde ich schön. Aber auch nicht alleine. Für mich gehört ein Partner, etwas Anständiges zu essen und zu trinken dazu. Dann hast Du Deine drei Dinge.

Ecki:
Meine Familie, ein Mountainbike und ein vernünftiges Bett.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0